„Aber wen interessiert denn das?“ „Also ich schau mir das nie an.“ „Ich kenne auch niemanden, der das mag.“ Wenn es um die Beurteilung von kommunikativen Inhalten aller Art geht, dann ist der Ausgangspunkt oft die eigene Vorliebe. Man selbst ist offensichtlich das Maß aller Dinge und Basis für jede weitere gut-schlecht-Analyse. Diese Vorgehensweise rührt nicht zuletzt von einer gewissen Arroganz gegenüber dem, was andere mögen und führt oft zu groben Fehleinschätzungen, wenn es um die Planung erfolgreicher Kommunikations-Maßnahmen geht. Lasst uns drüber reden.
Warum fällt es uns gerade bei Kommunikation so schwer zu verstehen, dass andere Menschen andere Dinge mögen und konsumieren? Es gibt Menschen, die bevorzugt lachsfarbene Schlaghosen tragen. Diese treffe ich zwar nicht täglich aber ich weiß, dass es sie gibt und es ist ok. Wenn wir aber einem Social Media Neuling erzählen, dass sich Millionen von Menschen gerne „Satisfying Videos“ ansehen, dann befinden wir uns schlagartig in einer Was-Wieso-Echt-Seltsam-Verstehichnicht-Diskussion.
Toll, oder?
Dabei schwingt aber keineswegs nur Neugier mit, sondern auch etwas Abwertendes, Herablassendes. Vollkommenes Unverständnis dafür, dass sich Menschen bestimmte Inhalte gerne ansehen. Oder noch besser: Dass es tatsächlich diese Menschen gibt: „Also ich kenne niemanden, der sich so etwas ansehen würde.“ Filterblase, guten Morgen. Nicht selten muss man dann am Handy diese verrückten Kommunikationsphänomene (an dieser Stelle ein Smiley mit hochgezogenen Augenbrauen vorstellen) herzeigen und die Millionen Klicks nachweisen. Auch nach abgeschlossener Beweisführung fällt es sichtlich schwer, sich vorzustellen, dass diese Inhalte tatsächlich beliebt sind. Diese abwehrende Haltung führt in weiterer Folge dazu, dass bestimmte Kommunikationsmaßnahmen nicht in Betracht gezogen werden, weil einfach der wohlwollende Zugang dafür fehlt.
Dieses Szenario können wir beliebig wiederholen mit jeglicher Art von neuen und spannenden Dynamiken.
„Seit ich auf Twitter bin, sehe ich mir den Songcontest an und alle twittern dann darüber. Das ist der größte Spaß!“
„Für den Tatort gibt es einen eigenen Hashtag. Es sich gemeinsam Sonntag Abend anzusehen, ist wie ein kultiges Ritual!“
„Ich schaue mir gerne E-Sports an. Ja, ich schaue anderen beim Computerspielen zu und es gefällt mir.“
„Ich liebe Schmink-Tutorials. Das entspannt mich.“
Die lustige Bildunterschrift
Was das Thema für uns wieder aktuell gemacht hat, war eine Bildunterschrift der Heise Online. Ihr habt sie sicher alle gesehen.
Tausendfach wurde es im Internet geteilt und größtenteils abgefeiert mit „Die beste Bildunterschrift, die sich je einE JournalistIn getraut hat“ und so weiter. Ja, irgendwie kurios gemacht und wenn man möchte, kann man auch schmunzeln. In Wahrheit ist es aber einfach nur ziemlich herablassend. Irgendwelche YouTube-Stars. Nur interessant für Minderjährige, als wäre das etwas Schlechtes. Lustig finden wir das nicht. Eigentlich nur sehr schade.
Nun muss man natürlich nicht jedes neue Kommunikationsphänomen kennen oder gut finden. Aber wenn ich in der Kommunikationsbranche/Medienbranche tätig bin, sollte ein Basiswissen vorausgesetzt werden können. Ehrlich: Wie soll ich meine KundInnen seriös beraten, wenn ich mich nicht ernsthaft und umfassend mit neuen Themen, Trends, Mechaniken und Persönlichkeiten beschäftige? Wenn ich stattdessen nur die Nase rümpfe über all diese seltsamen Dinge? Weil es mir zu anstrengend ist, mich in andere Personen, Communities und Zielgruppen hinein zu versetzen und versuche zu verstehen, was sie an Satisfying Videos, E-Sports oder Dagi Bee gut finden?
Man muss es nicht mögen. Man muss es nur verstehen.
Wichtiger Punkt. Es geht nicht darum, dass ich mir #tatort oder Daily Vlogs täglich zu Hause in meiner Freizeit leidenschaftlich anschaue und es all meinen FreundInnen empfehle. Ich muss all das weder regelmäßig konsumieren, noch mögen, noch verbreiten. Aber ich sollte wissen, worum es geht, wenn mich jemand fragt, ob ein Get Ready With Me das richtige Format für das anvisierte Kommunikationsvorhaben ist.
Wir möchten, dass offener und positiver an das herangegangen wird, was andere gut finden. Klingt absurd, aber vielleicht gibt es einen sinnvollen Grund, warum teilweise Millionen von Menschen bestimmte Dinge konsumieren. Und vielleicht ist da auch einmal etwas dabei, was für einen selbst passend ist.
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