Ich sitze gerade hier in Berlin auf der re:publica Konferenz und mache eine schöpferischer Pause vom Sessionprogramm. Apropos Sessionprogramm. Wenn ich richtig gezählt habe, werden wir innerhalb von drei Tagen mit fünf Vorträgen zu Snapchat beglückt. Weil Snapchat der nächste heiße Scheiß ist und alle Menschen, die schlaue Dinge mit dem Internet machen, ab sofort auf diesem Snapchat präsent sind. Nach dem Siegeszug eines Social Media Trends in der privaten Kommunikation folgt auch immer die Umsetzung für Maßnahmen in der Unternehmenskommunikation. Also: Ab mit euch, ihr Unternehmen, auf Snapchat. Oder?
In diesem Beitrag möchte ich der Frage nachgehen, wie viel Sinn es für Unternehmen macht, den neuesten Entwicklungen und Hypes im Social Media Bereich immer sofort nachzurennen, diese irgendwie aus dem Boden zu stampfen und sie dann mehr oder weniger kompetent zu betreuen. Ihr merkt wahrscheinlich schon an der Formulierung, wie ich dazu stehe.
Willkommen in meiner Blase.
Wir schlauen Social Media Menschen, umgeben von anderen schlauen Social Media Menschen, fühlen uns sehr wohl in unserer Blase. Da sprechen wir dieselbe Sprache, tauschen uns auf einem hohen Niveau aus und sind sowieso die Besten. Das führt dazu, dass wir die Social Media Kompetenz von Menschen außerhalb unserer Blase massiv überschätzen. Wir kennen manche Dinge schon ewig. Und wir greifen uns an den Kopf, weil wir nicht verstehen, warum das nicht umfasssend, überall, jederzeit und von allen genutzt wird. Weil wir die ExpertInnen sind. Early Adopter, wenn ihr so wollt. Das dürft ihr durchaus als Kompliment sehen. Wir dürfen aber leider nicht ungeduldig werden und Unternehmen vor lauter Tatendrang durch sämtliche Trends schleifen, wenn die noch nicht so weit sind.
Ihr müsst jetzt ganz stark sein.
Let’s face it. Für einen großen Teil der österreichischen Unternehmen ist es durchaus noch eine Herausforderung, Social Media Kanäle ordentlich, langfristig und im Einklang mit der Unternehmenskommunikation zu betreiben. Sie haben noch nicht verinnerlicht, warum wir alle dort sind, was wir wollen und wie dort kommuniziert werden muss, um mit den Maßnahmen erfolgreich zu sein.
Und da finde ich die Ratschläge, doch bitte Plattform X und Contentformat Y sofort und unbedingt umzusetzen, meist fehl am Platz und vor allem zu früh. Die müssen sich erst mit den Strukturen und Dynamiken anfreunden, sie müssen es tun, erlebt und verstanden haben. Sie müssen kritisiert worden sein und richtig reagiert haben. Zuerst auf einer einzigen Plattform, dann auch auf einer zweiten, irgendwann auf einer dritten. Aber dass ein Unternehmen mit einer 370-Fan-Facebook Seite, die zweimal wöchentlich ein Posting veröffentlicht und daneben einen verwahrlosten Twitteraccount betreibt, plötzlich Livestreamen muss und Snapchatten, halte ich für übertrieben und wird das betreffende Unternehmen schnell überfordern.
Auf der einen Seite ist es natürlich eine wunderbare Sache für ein Unternehmen, irgendwo die Ersten zu sein. Immer gut. Weil innovativ, mutig, auf dem neuesten Stand und so. Auf der anderen Seite ist es aber oft so, dass Unternehmen noch überhaupt nicht bereit sind. Seltsame Schnellschüsse verschleudern dann im besten Fall nur Ressourcen und führen im schlechtesten Fall zu Kommunikationsfehlern.
Das Internet wird sich nicht durchsetzen.
Oft ist es kaum vorherzusehen, wie stark und nachhaltig ein Trend wirklich ist. Damals, vor langer langer Zeit, dachten wir auch noch, dass Poken (haha) die Welt erobern und die altmodischen Visitenkarten für immer verdrängen würden. Hand hoch, wer noch einen Poken hat. *Hebt Hand*. Es soll ja auch Menschen gegeben haben, die vom Internet meinten, es sei ein Trend und wird sich nie durchsetzen. Joa.
Tatsächlich verpuffen die meisten Trends nach wenigen Monaten wieder. Manche aber entwickeln sich vom Trend zu einer festen, nachhaltigen Kommunikationsstruktur, die unser kommunikatives Verhalten in weiterer Folge stark beeinflusst. Snapchat zum Beispiel ist vor allem bei Jugendlichen für die private Kommunikation gerade sehr stark. Ob und wie sich die Plattform für den Unternehmenseinsatz eignet und langfristig sinnvoll ist, wird sich erst zeigen. Es ist gut und wichtig, dass es Vorreiter gibt, die Neues angehen und sich hier ausprobieren. In diesem Stadium ist es aber nicht notwendig, dass auf Unternehmensseite alle sofort mitmachen.
Wir sollten rechtzeitig erkennen, bei welchen anfänglichen Trends wir dabei sind und was wir auslassen. Denn bei jedem zweitägigen Hype anzulaufen wie ein Rasenmähertraktor, viel Zeit und Geld für Maßnahmen zu investieren, um dann festzustellen, dass sich die Zielgruppe längst woanders hinvertschüsst hat, wollen wir nicht. Was wir aber wollen, ist zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Maßnahme draußen zu sein.
Woher wissen wir jetzt, wann wir unbedingt dabei sein müssen und wann nicht?
Ehrlich jetzt. Bei 99% der Dinge können wir getrost sagen: “Oh. Cool. Macht mal.” und uns zurücklehnen. Dies ist kein Beitrag, der dazu aufrufen soll, nicht innovativ und mutig zu denken. Ich weiß, dass wir in Österreich die Situation haben, dass Unternehmen oft nicht aus den Schlapfen kommen und im Jahre 2016 keine mobilen Websites oder eine zeitgemäße Unternehmenskommunikation haben. Wir reden jetzt allerdings nicht über Standards, die seit Jahren bekannt und etabliert sind, sondern über lustige Plattformen, Contentformate, usw., die vor gefühlten drei Wochen erstmals probiert und grundsätzlich für sinnvoll befunden wurden. Ich für meinen Teil bezweifle, das es dann ratsam ist, jedem Unternehmen zur sofortigen Umsetzung zu raten.
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